Schnittstellen der Verwaltung

Im Rahmen dieses GovLabAustria-Projektes wird durch nationalen und internationalen ExpertInnendiskurs, mittels kultur-, sozial- und medienwissenschaftlicher Forschung, eine innovative und moderne Verwaltungsorganisation begleitet. Der öffentliche Dienst nimmt hierbei seine Verantwortung als Schnittstelle in den Bereichen Verwaltungsreform und -innovation sowie Digitalisierungskompetenz wahr.

Zielsetzung

Mediengeschichte und Kulturtechniken der Verwaltung: Förderung des nationalen und internationalen Diskurses
Initiierung begleitender Beobachtungen und Prozesse betreffend die digitale Transformation (Kultur, Ethik, Change)
Veranstaltungen, Vernetzungen und Publikationen
Prüfungsfach „Medien- und Kulturtechniken in der Verwaltung“ im Rahmen der Ausbildung des öffentlichen Dienstes

Konzeptidee

Verwaltungen sind mehr als bloßes paperwork, werden aber, als Akteur-Netzwerke, weitgehend durch vernetzten Schrift- und Datenverkehr organisiert. An den Schnittstellen zwischen Gesetzesnorm und behördlicher Entscheidung, Aktenverkehr und Dienstablauf, Öffentlichkeit und Behörde oder Kommunikation und Interaktion waltet die Schrift – im 21. Jahrhundert überdies zunehmend algorithmisch codiert – in Gestalt administrativer Inskriptionen. Das und die damit zusammenhängenden Komplexitäten haben dem Verwaltungsapparat seit seiner neuzeitlichen Etablierung den kritischen Begriff der ‚Bürokratie‘ eingebracht (die Problematik dieser und ähnlicher Zuschreibungen ist nicht nur nach wie vor nicht aufgelöst, sie hat sich vielmehr auf komplexe Weise ausgeweitet). Eine dieser Komplexitäten betrifft wesentlich die ständige Notwendigkeit adäquater ‚Übersetzung’sleistungen: nicht nur zwischen verschiedenen Ebenen und Organisationseinheiten innerhalb der Verwaltung, sondern vor allem auch hinsichtlich der Kommunikation, Aufgabenstellung und Interaktion zwischen BürgerInnen und Verwaltung.

Was diesen ‚Apparat‘ (mit allen Notwendigkeiten der Differenzierung) und seine jeweilige ‚Verwaltungskultur‘ – sei sie nun hypertroph und ‚entmenschlicht‘ (Max Weber), sei sie verschlankt und ‚effizient‘ – jedenfalls allemal steuert, sind kleine Formen wie Voten, Listen oder Notizen, Einsichtsbemerkungen, Berichte und Protokolle. Auf je unterschiedliche Weise sind diese wiederum an eine mediale Erscheinungsform gebunden, die ungeachtet ihrer nahezu unzählbaren Mutationen längst eine unhinterfragte Alltagserscheinung wurde (gerade auch weil Referenzierungen zu dokumentieren und standardisierte Adressierungen vorzunehmen in der Digitalisierung grundlegend ist): das Formular. Doch während dessen je spezifische Kompressions- und Standardisierungszwänge etwa bei den diversen Social Media und anderen kapitalisierungsaffinen Einschreibesystemen wie selbstverständlich akzeptiert sind, werden die notwendigen Formatierungen – aus hierbei nachvollziehbaren Gründen – durch eine z.B. staatliche Administration zumeist pejorativ subsumiert. Das Problem der Übersetzung und Akzeptanzgenerierung handelt von der Schwierigkeit der Einbindung von BürgerInnen als AkteurInnen. Dabei könnte (so die These von der adäquaten Übersetzung und dem versteh- wie annehmbaren Formular) von hier eine nachhaltig positive Signalwirkung ausgehen. (Da etwa über die Kompetenz, ein Formular zu gestalten und in Umlauf zu bringen, allenfalls dieses mit ‚Ausfüllhilfen‘ zu versehen, nicht zentral verfügt werden kann, entstehen zahlreiche Hybride, kommt es zu Irregularitäten und erscheint das Missverständnis wenn schon nicht als Normalfall, so doch als stets möglicher Kippeffekt entsprechenden Kommunikationsverhaltens.) Formulare bzw. standardisierte Verfahrensweisen sind wie angedeutet als Schnittstellen anzusehen, als Übersetzungsversuche (nahezu doppeldeutig auch in einem mechanischen Sinn verstehbar) von der einen Rationalität in eine andere. (Es bedarf einer leistungsfähigen Anschlussmöglichkeit, ohne die eine amtliche Kommunikation sowohl intern als auch nach/mit außen auf Null gestellt würde; gleichzeitig ist es unabdingbar, dass notwendige Standardisierungen ebenso notwendige Exklusionen mit sich bringen.)

Als Kulturtechniken, Auf- wie Einschreibesysteme und Textsorten lassen sich die unterschiedlichen Bedingungen aus Sicht der Verwaltung etwa in dreierlei Hinsicht thematisieren: historisch in ihrer Bedeutung beim Aufbau und Betrieb neuzeitlicher Verwaltungen (Geschichte lässt sich so als ein Labor verstehen, als Erfahrungsraum, aus dem heraus sich Verhältnisse und mediale Formen abstraktionsfähig und dadurch nutzbar machen lassen); medienwissenschaftlich bzw. grammatologisch in ihrem Übergang von analogen zu digitalen Formaten; kulturtheoretisch und literarisch im Sinne ihrer bürokratiekritischen und literarischen Thematisierung. (Literatur von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart liefert, richtig verstanden, auch ein die Selbstreferentialität und Rhetorik/Tropik des Staates und seiner Stellvertreterschaften dekodierendes Themenfeld in dem Sinn, dass hierin wesentlich Aufschluss über Rückkoppelungen besagter amtlicher Schnittstellen, Verfahrensweisen und Erfahrungen damit in Kultur und Gesellschaft geboten werden. Die Literatur liefert sozusagen ‚Mitschriften‘ und bietet Protokolle.) Dabei ist kaum zu übersehen, dass nicht wenige der ‚bürokratischen‘ respektive administrativen Kulturtechniken nur sehr bedingt kompatibel mit den Fertigkeiten und Reaktionsmöglichkeiten der damit konfrontierten BürgerInnen respektive ‚Antragstellenden‘ sind. Die Grammatologie der Veraktung im weitesten Sinn verbindet sich mit Kontrollfaktoren spezifisch amtlicher Zeitlichkeit zu einem Ensemble bzw. Regime von Kontrolle – so die mehr oder weniger bewusste Empfindung und daraus abgeleitet Wertung.

Im Sinne der notwendigen Verschaltung einer neuen Form der Grundlagenforschung, die mit Verwaltungspraxis und angewandter Verwaltungsforschung in einen Dialog tritt (das damit zu gewinnende zusätzliche methodische Repertoire liefern Geistes-, Kultur- und Medienwissenschaften), wären wesentlich auch die Bereiche Innovation und Interaktion an derart medial vermittelten Schnittstellen (wenn Formulare und Kleine Formen auch als Entwicklungsagencements, jedenfalls Dispositive sich verstehen lassen) zu Staat-BürgerIn bzw. digitale/r NutzerIn thematisierbar. Damit ist auch die Frage von Kollektiv/en bzw. Kollektivität vs. Gesellschaft/en und ihren notwendigen Verschaltungen angesprochen.

Ein derartiges Projekt wird sich notwendigerweise sowohl mit den Fragen symbolischer Zeichen und gesetzter Standards als auch dem Einführen von Anforderungen eines so deklarierten (nicht minder symbolisch vorgetragenen) ‚Realen‘ auseinanderzusetzen haben. Dabei wird Verwaltung per se nicht als ein geschlossener Raum verstanden, lediglich an dessen Schwellen sich Exzesse eines wie auch immer zu bestimmenden „Einbruchs“ abspielten – auch wenn oft so getan wird, als handle es sich um eine übergeordnete Instanz, einen Raum allein „symbolischer Ordnung“ und deren Codes wie Zeichensetzungen. Vielmehr, wie beispielsweise Ludwik Fleck hinsichtlich der „Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache“ bereits 1935 schreibt, ist von in internen wie externen Wechselwirkungen stehenden „Denk- und Arbeitskollektiven“ auszugehen, die im vorliegenden Fall als Verwaltungskollektive sich fassen lassen (genauer: zumindest temporäre Gruppenbildungen und Systemvorgaben, um das zeit- und ortsspezifische Umsetzen von Rechtsnormen innerhalb einer spezifischen Verwaltungskultur zu gewährleisten) und mit durchaus unterschiedlichen gesellschaftlichen wie politischen Begrifflichkeiten konfrontiert sind. Diese werden in bestimmten historischen Konstellationen geformt, unterliegen je spezifischen gesellschaftlichen wie politischen Bedingungsgefügen (also auch: Wandeln) und lassen sich im Sinne wissenschaftlicher Zugriffsmöglichkeiten als Schnittmenge von Verwaltungspraxis, Wissenssoziologie und Kulturwissenschaften aufarbeiten. In der Verwaltung geht es nicht nur um Formen der Aneignung von Wirklichkeit, sondern um die materiell-technologisch gerahmte Manipulation (i.S. von Bearbeitung) dieser wechselseitigen Aneignungen.

Verwaltung kann sich aus dieser Perspektive sowohl als Instanz wie Potenzial für Lebensentwürfe wie -vollzüge von Menschen und deren soziale Gruppen sowie ökonomische Schichten erweisen, die versuchen, Existenzbedingungen und Rahmensetzung zu beeinflussen. Die dabei notwendigerweise entstehenden Klassen von Zeichen, Kodierungen und Differenzsetzungen, Repräsentationen, Bildern und Selbstreferenzen unterstützen jedoch ebenso zwingend die Sicht, dass es sich bei Verwaltungen um Formen des Überbaus im Sinne abgehobener Zeichen- und Handlungsmuster, ja sogar -welten, handle. Aus derart symbolischen wie in die Realität umschlagenden Missverständnissen (s.o.: ein kommunikativer circulus vitiosus) leiten sich beispielsweise Konfliktgeschichten zwischen Gesellschaften und scheinbar abstrakten Verwaltungskräften ab. Verwaltungskunde wäre wie skizziert auch in diesem Zusammenhang als ein lohnendes Feld der Kultur- und Medienwissenschaften, Politikwissenschaften und Soziologien entsprechenden Zuschnitts aufzuarbeiten und neu herauszustellen.

Ein Ziel ist, einerseits einem wesentlichen Forschungsdesiderat (mit bislang weitgehend ungenützter Anschlussfähigkeit in verschiedener Hinsicht) zu begegnen und andererseits die Relevanz von Verwaltung und den sich daraus ergebenden Komplexitäten sowohl einer interessierten wie auch einer noch zu interessierenden Öffentlichkeit zu kommunizieren. Die sich daraus ableitenden Anforderungen sind beachtlich, der Gegenwert ist (gerade aus der Sicht einer der Öffentlichkeit und ihren Gesellschaften verpflichteten modernen Verwaltung) jedoch noch um einiges beträchtlicher: es geht um die Aufarbeitung des Themas Verwaltung abseits ausschließlich juristischer Normen und nutzungsoptimierter Verwaltungspraktiken (beide sind im Sinne des vernetzten Ansatzes durchaus Teil der Betrachtung und bei Veranstaltungen wie auch Publikationen zu berücksichtigen), damit verbunden potentiell öffentlichkeitswirksame Attraktivierbarkeit des Themas, Erkenntnisgewinn (eventuell auch ableitbar für die Ausbildung im Öffentlichen Dienst), Zusammenführung von in der Öffentlichkeit zumeist getrennt gesehenen Feldern wie Kultur und/oder Verwaltung, Herausarbeitung eines reflektierten Kulturbegriffs von Verwaltung als Wert und Mehrwert.

Ein weiteres Ziel ist es, eine robuste Prognosefähigkeit (ausgehend davon, grundsätzlich zu verstehen und zu wissen) hinsichtlich der unmittelbaren wie mittelbaren Auswirkungen dessen zu erlangen, was unter dem Schlagwort der fortschreitenden Digitalisierung nach wie vor eher alles und nichts subsumiert, als konkret differenziert angewendet zu werden. Die Digitalisierung wird über neue Komplexitäten des Formulars laufen (ohne dass wir bislang allzu viel an konkretem, tatsächlich handhabbarem Wissen über seine Beschaffenheiten, tatsächlichen Auswirkungen und Zurichtungspotentiale im Laufe der Neuzeit wüssten), über Formalisierungen und Versprachlichungen. An diesen Schnittstellen wird sich die Kommunikationsfähigkeit und Effizienz von Verwaltung im Austausch mit BürgerInnen hinkünftig erweisen. Innovation, Interaktion und Partizipation bleiben als Notwendigkeiten davon unberührt, ihre Formen (auch: deren Algorithmen) verändern sich jedoch. Lassen sich Gesellschaften und ihre medialen Schnittstellen interaktiver Ordnung und Organisation, d.h. ihrer Verwaltungsweisen, in zehn oder fünfzehn Jahren zugunsten beidseitiger Handlungsfähigkeit ansatzweise absehen? Nützt man die Erfahrungsräume, das Wissen um mediale Logiken und gesellschaftliche Zusammenhänge und die Vernetzungsoptionen entsprechender Zugänge auch der Grundlagenforschung: ja.

Projektvorhaben

Um das Vorhaben insgesamt in vertretbarer – sowohl den Mitteln als auch der Komplexität entsprechender – Zeit zu etablieren, bedarf es mehrerer Ansätze. Zum einen braucht es Projektpartner und notwendige Korrektive. Zum anderen bedarf es einschlägiger Veranstaltungen und Formate des unmittelbaren Austauschs. Schließlich werden Publikationsformen zur Sicherung, Überprüfbarkeit, Anstiftung der Diskussion, Schärfung von Argumentationslinien und Definitionen erforderlich sein. Dabei kann es nicht um einzelne Theorieschulen (wie etwa die Systemtheorie) gehen, sondern muss die Sichtung und Nutzung vorhandener Potenziale einen Schwerpunkt bilden. Ist all dies geklärt, wurde korrigiert, neu angesetzt, interagiert und erprobt, ist die Frage nach den Beteiligungen auszuweiten.

Meilensteine

1
Kooperationen
Gewinung von ProjektpartnerInnen und Ausbau des Arbeitsnetzwerkes.
2
Publikationen
Online-Publikationen sollen möglichst in Open Access-Form erhältlich, gedruckte Forschungsbeiträge kostengünstig verfügbar sein. Zusätzlich sollen unterschiedliche Veranstaltungs-Formate als Austausch-Schnittstellen fungieren.
3
Forschungsaktivitäten
Für 2021 wird die Antragstellung für den Aufbau eines DACH-Forschungsprojekts betrieben.

Aktivitäten

19.11.2018
19.11.2018

The Great Transformation

04.07.2019
04.07.2019

Workshop "Das Formular 1" (Universität Siegen)

30.10.2019
30.10.2019

Workshop "Das Formular 2" (Bundesministerium für öffentlichen Dienst und Sport)

12.12.2019
12.12.2019

Konferenz "Moderne Bürokratie und Innovation" (Bundesministerium für öffentlichen Dienst und Sport)

27.02.2020
27.02.2020

Workshop "Aktenzeichen MoE" (Universität Wien)

20.05.2021
20.05.2021

Konferenz: "Das Protokoll" (Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport; Universität Wien)

25.11.2021
25.11.2021

Konferenz: "Tabellen und Listen" (Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport)

Finaler Termin offen.
Peter Plener
Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (Projektleitung)
+43 1 71606 662808
Ursula Rosenbichler
GovLabAustria (Projektleitung & Koordination)

Projektpartner

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